Juni/Juli/August 2025


Gedanken zum Thema Dankbarkeit

 

Liebes Gemeindeglied,

 

ein Film, der vor wenigen Monaten erst im Kino lief und mittlerweile natürlich schon längst auf DVD erhältlich ist, hat mich nachhaltig beeindruckt. A Quiet Place, Tag 1. Außerirdische Kreaturen, die riesigen Heuschrecken ähneln, sind in New York vom Himmel gefallen und fressen seine Bewohner. Auf ihrer Jagd folgen die Kreaturen ausschließlich ihrem Gehör. Gebot des Handelns für jene, die überleben wollen: auf gar keinen Fall irgendwelche Geräusche zu produzieren, andernfalls wird man nicht lange überleben. Deshalb auch der Titel.

Wer sich entschließt, diesen Film anzusehen, der erwartet zunächst einmal seichte, actionreiche und gruselige Unterhaltung, ohne besonderen Tiefgang oder besonderen Anspruch. So auch ich.

Mit dieser Erwartungshaltung saß ich denn im Kinosaal und war höchst erstaunt, als ich mich gleich zu Beginn des Films in einem Hospiz wiederfand. Eine Runde junger Menschen, alle im Endstadium ihrer jeweiligen Erkrankung. In einer Supervisionsgruppe sprachen sie darüber, wie es ihnen aktuell geht. Zu ihnen gehört auch Sam, eine Frau, Ende dreißig. Sam hat Krebs. Man sieht es ihr an. Eigentlich ist es ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt. Sam schreibt Gedichte, die sie auch veröffentlicht. Ihr neuestes liest sie in der Runde vor. Mit drastischen Worten und Fäkalsprache beschreibt sie darin das Leben im Hospiz. Es geht ihr nicht gut und das bringt sie zum Ausdruck.

Zu Sam gehört ihr Kater „Schnitzel“. Er wird sie den ganzen Film über begleiten. Das verwundert in diesem Streifen am meisten, dass er bei dem ganzen Chaos, das bald herrschen wird, nicht verloren geht.

Am Nachmittag desselben Tages besucht die Gruppe ein Marionettentheater. Während der Vorstellung beginnt der Angriff der Exoterresten. Die Gruppe wird auseinandergerissen. Sam flieht und sucht Schutz für sich und ihren Kater.

Bei ihrer Flucht trifft Sam auf Eric, einen Jurastudenten. Er stammt aus England, lebt noch nicht lange in New York und kennt hier kaum jemanden. Während dem Versuch, sich zusammen irgendwo in Sicherheit zu bringen, erzählen die beiden einander ihre Lebensgeschichten. Dabei erfährt Eric, dass Sams Vater Jazzpianist gewesen ist und dass sie ihn als kleines Mädchen ab und an in die Jazz-Bar, in der er spielte, begleiten durfte. Das sind bis heute ihre glücklichsten Momente, an die sie sich noch immer gerne erinnert.

Ansonsten hat Sam, die auch ohne die Bedrohung von außen nur noch wenige Tage oder Wochen (Wer weiß das bei dieser Krankheit schon genau?) zu leben hätte, noch einen großen letzten Wunsch. Er klingt banal. Sie möchte noch einmal in Harlem die für sie „weltbeste“ Pizza essen.

Auf ihren Wegen durch die Straßen und U-Bahntunnel Manhattans sorgt Eric gut für Sam. In einer Apotheke organisiert er Morphium-Pflaster, als die Schmerzen für sie unerträglich werden. Und er schafft es sogar, ihr in Harlem die gewünschte Pizza zu besorgen. Nun gut, die ist nicht mehr ganz frisch, denn die Menschen sind mittlerweile fast alle verschwunden.

 

Sam verzehrt sie dennoch mit Hochgenuss, was man ihr deutlich ansieht. Nicht ganz zufällig kommen sie schließlich auch noch an der besagten Jazz-Bar vorbei, mit der sich Sams liebste Kindheitserinnerungen verbinden. Hier nun, der Zuschauer fragt sich gerade, wie die Geschichte wohl enden wird, nachdem die zentralen Wünsche Sams erfüllt wurden, kommt den Flüchtenden folgender Umstand zu Hilfe: die Außerirdischen können nicht schwimmen und Manhattan ist mittlerweile von der Außenwelt isoliert. Die Regierung hat alle Brücken, welche die Insel mit den umgebenden Stadtteilen verbanden, sprengen lassen. Auf dem Wasser warten derweil Boote, auf die sich jene, die überlebt haben, retten können. Nur, wie dort sicher hinkommen?

Während Eric samt Kater „Schnitzel“ über die Pier rennt und ins Wasser springt, um zum Boot zu schwimmen, lenkt Sam die Verfolger erfolgreich ab und kann sehen, wie ihre Freund und ihr Kater ins Rettungsboot gezogen werden.

Falls Sie bis hierhin meine Schilderung mit Interesse und Wohlwollen verfolgt haben sollten, so werden Sie sich vermutlich dennoch fragen, was das alles mit dem in der Überschrift zu diesem Artikel von mir gewählten Thema „Dankbarkeit“ zu tun hat. Nun:

Wenige Zeit bevor Eric ins Wasser gesprungen war, hatte Sam ihm ihre gelbe Strickjacke überlassen. In dieser findet Eric jetzt auf dem Boot einen Zettel. Sam hat folgendes darauf geschrieben: dass sie sich bedankt für all‘ das Gute, das Eric ihr am letzten Tag ihres Lebens getan hat.

Ihr Frust, ihre Resignation, ihre Trauer, ihre Wut über die unheilbare Krankheit vom Anfang hat sich aufgrund der selbstlosen Zuwendung von Eric gewandelt in Dankbarkeit. Nun kann Sam ihren unvermeidlichen Tod annehmen, denn sie hat noch einmal erkennen dürfen, wieviel Gutes und Schönes es bislang in ihrem Leben gab. Und auch sie selbst war an ihrem letzten Tag auf Erden noch einmal wichtig. Trotz der Krankheit konnte sie einem anderen helfen. Eric, inklusive Kater, hat sie Zukunft ermöglicht. So scheidet sie versöhnt mit sich und dem Leben lautstrak aus dieser Welt.           

Die Geschichte von Sam und Eric, sie hätte auch problemlos in einem anderem Kontext angesiedelt werden können, vor allem einem weniger fiktionalen, z. B. in jedem totalitären Regime dieser Erde in Vergangenheit und Gegenwart, das seine Bevölkerung terrorisiert und alle, die sich nicht gleichschalten lassen wollen, verfolgt und ermordet, oder auch in der Ukraine, wo Putins Gleitbomben und Drohnen, die Menschen bei Tag und Nacht in Angst und Schrecken versetzen und bereits ungezählte Leben skrupellos ausgelöscht haben, oder auch in all den Kriegs- und Krisengebieten, die es auf dieser Welt gibt und in denen ein Menschenleben nichts gilt.

Ich vermute, genau das haben sich die Produzenten dieses Films auch so gedacht, denn über die Angreifer aus dem All erfahren wir nichts. Sie bleiben namenlos und beliebig austauschbar.     

Die Geschichte von Sam und Eric aber, die ist besonders. Mich hat sie berührt, in erster Linie durch ihre Aussage, wie Dankbarkeit auch im Angesicht von Bedrohung, Krankheit, Sterben und Tod möglich ist. 

 

 

Pfarrer Armin Kopper

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                           

 




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